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Jan Delay und "Earth, Wind & Feiern": Primus inter pares

Wie viele Jahre treibt Jan Delay schon sein Unwesen auf dem deutschsprachigen Musikmarkt, wie viele stilistische Wandlungen hat er bereits vollzogen und wie groß wird wohl die Zahl derer sein, die ihn seit jeher belächeln oder auf seine Stimmfarbe reduzieren? Tiefgreifende Fragen, die auf „Earth, Wind & Feiern“ nur eine untergeordnete Rolle spielen.

„Advanced Chemistry“ und „Hammer & Michel“, die letzten beiden Studiowerke unter federführender Mitwirkung von Herrn Eißfeldt, trennen Welten. Zwischen deplatziert wirkenden und gleichsam hart umstrittenen Rock-Avancen und einer Rettungsmission des Oldschool-Hip-Hop mit den Beginnern lag nur wenig Zeit. Zeit, die nun für den kreativen Entstehungsprozess von „Earth, Wind & Feiern“ nachgeholt wurde. Haben sich geschlagene 7 Jahre des Wartens gelohnt? Oder werden Kritiker bestätigt, die die besagte Zeitspanne als wohltuende Funkstille für ihre Gehörgänge empfunden haben? Erstere Aussage scheint richtig zu sein und das sind die Gründe dafür:

Ganz im Sinne einer antizyklischen Veröffentlichungsstrategie erscheint nun eine rundherum lebensbejahende Platte, welche den dritten Lockdown kurzzeitig vergessen macht und alles ein wenig bunter erscheinen lässt. Es beginnt mit einem Albumcover, das gut und gerne den großen Comicverlägen unserer Zeit entstammen könnte. Klangliche Superkräfte kanalisieren den chronischen Partyentzug und verwandeln die hanseatische Hafenstadt in einen Sündenpfuhl (sofern sie das nicht bereits ist). Das Intro verkündet zielsicher die Abkehr von E-Gitarren und verausgabt sich mit überschwänglichem Frohsinn und mitreißender Bläserbeteiligung. Die darauffolgende „Eule“ zeigt, auf welchem Qualitätslevel sich das gesamte Album abspielen wird. Nachtschwärmer und Nachtaktive dürften sich in dem schön gestalteten Text wiederfinden. Und spätestens wenn Marteria himself zum Mikrofon greift, lösen sich kritische Rückfragen in Schall und Rauch auf.

Auch, wenn sich die Ärzte bereits an Alexa abgearbeitet haben, scheut sich Jan Delay nicht vor einer kurzen Abhandlung über ein höchst streitbares Phänomen der Neuzeit. Zwischen reflexartiger Abwehrhaltung und ergebener Bewunderung bleibt scheinbar genug Freiraum für ein musikalisches Augenzwinkern. Eine ruhigere Nummer, wie sie auch mit „Zurück“ vorzufinden ist. Dieser Track paart die eher rar gesäten melancholischen Gedankengänge mit karibischen Anleihen und dem erfolgsversprechenden Einsatz eines Saxofons. So weit, so kreativ, so gelungen. Apropos Saxofon: Der gleichnamige Track geht straight voran, weiß textlich zu überzeugen und verbreitet durchweg sommerliche Vibes. Gleiches gilt für „Tür´n Knall´n“ und „Gestern“.

Der Fokus verbleibt - trotz vereinzelter Auswüchse - eindeutig auf Feierei und Aufbruchstimmung. „Spaß“ rechnet mit besorgten Bürgern, Schwurblern und anderweitigen kruden Gestalten ab. Es muss erst eine Hamburger Frohnatur auf den Plan treten, um die Speckgürtel der Republik kräftig durchzuschütteln. Politische Stellungnahmen dieser Direktheit stehen auch für Jan Delay nicht unbedingt auf der Tagesordnung. Er bleibt nun einmal der „Kinginmeimding“. Als blinder Passagier im Trap-Zug und mit Autotune-Spielereien in der Hinterhand wird uns erneut vor Augen geführt, wie vielseitig die Platte selbst, aber auch die Auswahl der Kooperationen (hier: Summer Cem) ist. „Lächeln“ ist die Aufarbeitung einer nimmersatten Geisteshaltung und gleichsam kritisch, wie auch ein wenig schelmisch. In der Summe darf man sich doch erfreut die Augen reiben, wie viel Energie bis heute in Jan Delays Werken steckt. Stagnation scheint ein Fremdwort zu sein und so verlangt er von seiner Hörerschaft auch völlige Flexibilität, was musikalischen Geschmack und pointierte Lyrik anbelangt.

Fazit

7.6
Wertung

„Ich konnte die pauschale Kritik an Jan Delays Werken nie nachvollziehen und bin demnach auch nicht überrascht, dass er eine gefühlte Ewigkeit nach seinen letzten Studio-Lebenszeichen souverän abliefert.“

Marco Kampe
6.6
Wertung

"Vorausgesetzt man weiß worauf man sich einlässt und ist resistent gegen Jan Delays Art seine Stimmbänder einzusetzen sowie zu bearbeiten, dann weiß dieses Album wirklich zu gefallen. Verschiedene Stimmungen, hochkarätige Feature-Gäste sowie gewohnt kritische Äußerungen definieren die Musik des Hamburgers auch im Jahr 2021."

Mark Schneider